30 Jahre Künstlerbund Speyer     Kulturhof Flachsgasse    25. Juli 2014

Verehrte Anwesende,

lassen Sie mich heute Abend die einen begrüßen, vor allem aber die anderen.

„Die Anderen“ nämlich, „Les Autres“, hieß die Ausstellung, mit der junge Speyerer  Künstler im Juni 1984 an die Öffentlichkeit traten, um noch im selben Monat den Künstlerbund Speyer  ins Leben zu rufen.
„Die Anderen“ - es kann wohl kaum einen programmatischeren Titel für eine Kunst-Ausstellung geben.  Denn Kunst steht immer auf der Seite des Anderen, des Noch-nie-so-Gesehenen, auf der  Seite des noch nicht realisierten Möglichen, auf der Seite des Prinzips Hoffnung.
Zwischen Wagnis und Sicherheit entscheidet sich Kunst -mit Sicherheit-  für das Wagnis, sie hängt nicht  nostalgisch träumend dem Vergangenen nach, sei es noch so strahlend gelungen, vielmehr antizipiert sie - vorwärts träumend - das Zukünftige, sei es noch so sehr vom Scheitern bedroht.
Wer glaubt, er könne es sich im Zug Richtung Zukunft gemütlich machen und auf seinen Lorbeeren ausruhen, wird von der Kunst daran erinnert, dass Züge in Richtung Zukunft keine Schlafwagen führen.
„Alternativlos“ gehört  nicht zum Vokabular der Kunst -
Kunst will das Andere:
nicht das Einverstandensein,  das Ja-und-Amen zum So-und-immer,
sie will den Einspruch gegen das Bestehende und gegen das gedankenlose Dahintreiben.

Aus diesem Geist ist der Künstlerbund geboren, nicht aus dem Krämergeist, der nur auf bessere Vermarktungschancen schielt. Schon die 1966 gegründete Speyerer Künstlergruppe „Argo“, eine Art Pilotprojekt für den späteren Künstlerbund, sieht sich, der mythologische Name verrät es ja, unterwegs zu unbekannten Ufern, flieht aus  der abgestandenen Luft der Nachkriegszeit ins Freie.  Wenn neben diesen weit gesteckten Zielen die Hoffnung keimt, nicht nur für die Kunst, sondern auch von ihr leben zu können - wer wollte das bekritteln? Die Kunst, brotlos zu leben,  hat noch keiner erfunden....

Bis heute gibt es im Künstlerbund drei Sorten von Künstlern:
den frei schwebenden Einbeiner, der allein auf dem Kunstbein stehen zu können hofft,
den  verbeamteten Zweibeiner, den die Kunst anzieht, der aber sicherheitshalber  andere zur Kunst erzieht,
und schließlich den Spielbeiner, für den die Kunst als Standbein keine Rolle spielt.

Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, darf man sagen, dass eine Stadt all diese Künstler braucht, jene frei schwebenden Einbeiner aber vielleicht am meisten. Sie leben radikal eine andere als die marktkonforme Orientierung, sie fungieren für junge Menschen als mutige Vorbilder, mögen sie von den Eltern auch als abschreckende Beispiele ins Feld geführt werden.

Sie verhalten sich wie Eichendorffs „Taugenichts“, der von sich sagt: „Die Kartoffeln und anderes Gemüse, das ich in meinem kleinen Gärtchen fand, warf ich hinaus und bebaute es ganz mit den auserlesensten Blumen.“ Es ist der immerwährende Konflikt zwischen einem der Kunst gewidmeten Leben und einem unter dem Diktat des Nützlichen stehenden, der Konflikt zwischen Bürger und Künstler, der Konflikt zwischen Gemüse und Blumen. Die Botanik bietet zwar einen wunderbaren Kompromiss an, den Rosenkohl, aber so leicht ist der nicht ins Alltägliche zu übersetzen.

Wie dem auch sei, der 1984 gegründete, zunächst von Paul In den Eicken geführte Künstlerbund floriert, ihm gelingt in Allianz mit anderen Kultur-voran-Treibenden die Abwehr der auf den Alten Stadtsaal gerichteten Abrissbirne, er veranstaltet dort eine erfolgreiche Ausstellung mit ebenso erfolgreicher Auktion eigener Bilder. Das Künstlerhaus in der Sämergasse wird erobert, der Skulpturengarten zum Keimen und Blühen gebracht, das internationale Stipendium eingerichtet im Kampf gegen provinzielle Selbstzufriedenheit. Man würde heute vielleicht von Synergieeffekten sprechen, wenn die Zusammenarbeit  von ganz unterschiedlichen  Künstlern, Malern, Fotografen, Bildhauern, Graphikern solche Früchte trägt. Und eine erste Zwischenbilanz könnte lauten: Das bunte Band der Einheit und das bunte Band der Vielfalt verwandeln eine Künstlerbande in einen Künstlerbund ....

Noch aber steht ein entscheidender Entwicklungssprung bevor, noch liegen die vielen bunten Fäden nur nebeneinander, noch addieren sich die einzelnen Subjekte bloß. Das ändert sich mit thematisch gebundenen Gemeinschaftsaktionen. Jetzt wird aus den einzelnen Fäden ein buntes Seil gedreht, ein Seil, auf dem man tanzen und ganz andere Sprünge machen kann als auf einem Faden: es entsteht eine Art transsubjektives Kunstsubjekt „Künstlerbund“.

Die Plakat-Aktion „gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ erregt landesweit Aufsehen, das Projekt „MultiMediaTurm“ schenkt Speyer 1996 eine neue Kunst-Erfahrung, der Wasserturm verwandelt sich zum Ort der Kunst. Es ist vor allem Manfred Weihe,  der dieses Konzept, die Grenzen des Museums zu sprengen, für den Künstlerbund entwickelt. Hier addieren sich die Einzelbeiträge nicht, sie multiplizieren, ja sie potenzieren sich in  ihrer Wirkung.

Mit dem Projekt „Kunst-Keller“ geht der  Künstlerbund in den Untergrund: der Boden, auf dem wir dahinleben, wird historisch sondiert - und unterminiert. „Philosophieren“, so Nietzsche, „heißt graben unter den eigenen Füßen.“ Die Kunst gräbt mit, die Speyerer Bevölkerung entdeckt Neuland.

Und dann folgt eines der spektakulärsten Experimente des Künstlerbunds. Der Verein versucht sich in Dekonstruktion. Der Vorstand stellt den Antrag auf Auflösung des Künstlerbunds. Das lässt sich nur in der Rückschau so gelassen beschreiben, in dem Wissen, dass es vermutlich die Radikalität dieses Antrags war, die den Fortbestand des Künstlerbunds sicherte - dialektische Ironie der Premium-Klasse. Ohne sich dessen bewusst werden zu können,  haben die damals den Künstlerbund Verlassenden und die ihn Weiterführenden zusammengearbeitet. Die kritischen Beobachter draußen waren für die drinnen, unter Führung von Rudolf Dister, der beste Ansporn. So sei heute  den einen wie den anderen gedankt.

Der Künstlerbund überlebt also sein dreizehntes Jahr und bleibt auf dem eingeschlagenen Weg: die Künstler versuchen weiter, neue Orte für die Kunst zu erobern, die Grenzen der Kunst zu verschieben. Im Projekt „Konvers“ mutiert die verlassene Normand-Kaserne zum Museum, konvertiert vom Glauben an die Kriegskunst zum Glauben an die Kunst. Aber sie wird nicht nur zum Museum, sondern für die Zeit der Ausstellung auch zum Veranstaltungsort für Vorträge, Konzerte und Theater.

Was der Künstlerbund bei Projekten wie diesem oder bei den Projekten „Filz-Fabrik“
und „Villa Körbling“ auf die Beine stellt, an die Wände hängt, in den Köpfen in Gang setzt, kann auch weit größere Städte mit bewunderndem Neid erfüllen. Das mit Künstlern aus Yavne gemeinsam realisierte Megilla-Projekt wird sogar in Berlin gezeigt, bevor es nach Israel geht. Hier stiftet das für alle 46 Künstler identische Rollbild-Format einen Rahmen, in dem die Polyphonie der Ideen und Techniken umso deutlicher hervortritt.

Die großen Aktionen des Künstlerbunds erfordern nicht nur ein enormes künstlerisches Potenzial, sondern auch eine ungeheure logistische Kompetenz, und zwar eine humane und kunstkompatible. Der Künstlerbund Speyer und der ihn seit acht Jahren mit sicherem Gespür steuernde Holger Grimm haben das große Glück, dass im logistischen Zentrum ein Künstlerherz schlägt, das seinen Namen trägt: Michael Lauter.

Verehrte Anwesende, die Sonne steht am Himmel, der Mond steht hinterm Horizont, die Zukunft des Künstlerbunds steht in den Sternen, und die Sterne stehen gut für den Künstlerbund. Und auch einige von Ihnen stehen nun schon eine ganze Weile....

Drüben wartet eine Ausstellung auf Sie, die von beeindruckender Einheitlichkeit ist und zugleich von faszinierender Vielfalt: raumgreifende Installationen neben minimalistischen Arbeiten mit Kabelbindern, subtile Videokunst neben Marmorblöcken, abstrakte Kompositionen neben farblich differenzierter Gegenständlichkeit  Einmal mehr verwirklichen die Künstler des Künstlerbundes, was wir alle uns wünschen und was der türkische Dichter Hazim Hikmet so treffend formuliert hat:

Leben
einzeln und frei wie ein Baum
und brüderlich wie ein Wald
das ist unsere Sehnsucht.

Und so wünschen wir dem Künstlerbund zum 30. Geburtstag,
dass er auch weiterhin der Anwalt einer Kunst bleiben möge,
die das Andere will -
nicht die Erstarrung,
sondern das pulsierende, explodierende, Sprünge machende Leben,
einer Kunst, die keine Schlaflieder säuselt,
sondern den Weckruf trommelt,
einer Kunst, die Nein sagt
zum Ausgekochten und Abgeschliffenen und zur Flexibilisierung des Rückgrats
und die Ja sagt

zu Kante und Kontur und zum aufrechten Gang in die Zukunft.

 

Laudatio Hans-Jürgen Herschel

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                                                                    reinhard ader  malerei