Ausstellung Im Kunstverein Speyer: „Neuland 8: Ader – Desuki – Fouquet“

Einführung: Hans-Jürgen Herschel

Verehrte Anwesende!

Kauen Sie manchmal Wörter, um ihren berauschenden Geschmack ganz intensiv zu empfinden? Nein, ich meine nicht Wörter wie Liebe, Lust, Sandstrand, Brezelfest …
Eines meiner Lieblingskauwörter ist das Wort „unvermittelt“. Wie es nach Sehnsucht schmeckt! Nach der Sehnsucht, der Welt direkt gegenüberzustehen, ohne eine Vermittlung, ohne ein Mittleres, ohne ein Medium zwischen ihr und mir. Die Welt anzusehen ohne ein Dazwischen, in dem sie zwar sichtbar wird, in dem sie sich aber zugleich entzieht, hinter dem sie sich verbirgt.
Christian Morgenstern hat seine berühmte Palmström-Figur die Erfahrung unvermittelten Ergriffenwerdens machen lassen:

„Palmström steht an einem Teiche
und entfaltet groß ein rotes Taschentuch.
Auf dem Tuch ist eine Eiche
dargestellt sowie ein Mensch mit einem Buch.

Palmström wagt nicht sich hineinzuschneuzen.
Er gehört zu jenen Käuzen,
die oft unvermittelt-nackt
Ehrfurcht vor dem Schönen packt.

Zärtlich faltet er zusammen,
was er eben erst entbreitet.
Und kein Fühlender wird ihn verdammen,
weil er ungeschneuzt entschreitet.“

Die raffinierte Pointe des Textes liegt nun allerdings darin, dass die Palmström unvermittelt packende „Ehrfurcht vor dem Schönen“ gar nicht der Begegnung mit der Welt, mit dem Teich, an dem er steht, entspringt. Sie entspringt vielmehr der unvermittelten Begegnung mit dem roten Taschentuch, welches ja die Begegnung von Mensch und Natur geradezu verhindert, indem es sich zwischen die beiden schiebt. Damit nicht genug: „Auf dem Tuch ist eine Eiche / dargestellt sowie ein Mensch mit einem Buch“. Die durch ein Medium verhinderte unvermittelte Begegnung von Mensch und Welt wiederholt sich also auf dieser Ebene. Unvermittelt vollzieht sich indes die Begegnung von Mensch und Medium …
Morgensterns hundert Jahre alter Text erweist sich also als hochmodern: Er hält fest, dass der Mensch gar nicht mehr der Welt begegnet, sondern immer nur Medien, die ihm noch nicht einmal die Welt zeigen, sondern lediglich weitere Begegnungen von Mensch und Medien. Die Welt erscheint medial verspiegelt, ist ein regelrechter, regelloser Dschungel medialer Vermittlungen.

Mit diesen Überlegungen haben wir uns, hoffentlich, einen Weg zu dieser Ausstellung gebahnt. Wenn nämlich Katia Fouquet ihrer Serie neuer Zeichnungen den Titel „Dschungel Dschungel“ gibt, dann nicht in erster Linie, weil das Motiv des Dschungels mehrfach vorkommt, sondern vor allem, weil sie sich anregen lässt von den im medialen Blätterwald vorbeirauschenden Bildern und weil sie mit der Machete ihres Buntstifts Schneisen in diesen Dschungel zu schlagen versucht.

Reinhard Ader wiederum stellt seine jüngsten Arbeiten unter den Leitgedanken „Stilbruch“. Das signalisiert die Auseinandersetzung mit der Welt als Auseinandersetzung mit den Bildern dieser Welt, mit den großen Bildern aus den „Steinbrüchen der Kunstgeschichte“. Der eigene Stil bricht den fremden und bricht sich am fremden – Spiegelungen, bei denen das Spiegelglas schon einmal zerspringen kann.

Bei Gisela Desuki steht am Anfang der Begegnung von ich und Welt nichts anderes als eine Spülmittelallergie. Die zwingt die Hand in den Handschuh – und schon hat sich etwas zwischen die Welt und den sie erlebenden Menschen geschoben. Etwas Fremdes zunächst. Doch wenn sie, statt in den Handschuh zu schlüpfen, ihre Hand in Latex taucht, entsteht ein individualisiertes Medium; der wie angegossen passende Handschuh nimmt an seiner Innenseite die Struktur der Poren an und an seiner Außenseite die amorphe Glätte der Luft. Und er wird so zum dialektischen Symbol der Begegnung von Ich und Welt: unvermittelt sich anschmiegend an die Haut, unvermittelt grenzend an die Luft übernimmt er die Aufgabe der Vermittlung.

Wir dürfen also die Sehnsucht nach unvermittelter Welt-Begegnung und die Erfahrung einer immer komplexer vermittelten Weltbegegnung als gemeinsames Problemfundament betrachten.
Wie aber unterscheiden sich die Künstler?

Reinhard Ader, der in Speyer lebende Purrmann-Preisträger, sagt von sich selbst: „Ich muss die Wahrheit der gefühlten Wahrnehmung malen.“ In dieser Selbstbeschreibung hat jedes Wort Gewicht:

Was bedeutet das konkret?  Nehmen wir das Bild in der Mitte. Es trägt den Titel „Die Wilde Jagd“ : Das ist die allgemein verbreitete Lüge, das sind die Hetzparolen, pass auf, der Hund da ist gefährlich, er wir dich anspringen. Die „Wahrheit der gefühlten Wahrnehmung“ ist eine andere : wir sehen in die Augen einer Kreatur, die die vom großen Körper scheinbar ausgehende Bedrohung widerrufen, die nur eines sagen: Ich bin der Gejagte. Und ich bin dein Bruder. Hab Mitleid.
So unterläuft die Wahrheit des Gemalten die landläufige Lüge.
Oder das Bild daneben, „Kühler Morgen“: realistisch scheinen die ins Endlose laufenden Furchen, surreal die Rohre, aus denen weißer Rauch kommt, eine gefühlte Wahrnehmung, deren trostlose Wahrheit noch gar nicht ganz begriffen ist. Aber warum trostlos? Spendet in „Stille ringsum“ ein Streifen schmutzig-gelben Himmels nicht so viel Trost, dass die Zerstörung im Vordergrund ihre Kraft verliert? Müssen die Wahrheiten der Bilder immer übereinstimmen? Abgründige, tiefe Bilder …

Lass doch die Tiefe, warum willst du dich in sie hineinstürzen? Komm, wir surfen über die bunte Oberfläche, gleiten schwerelos dahin. Die junge Stimme der Zeichnungen von Katia Fouquet klingt verlockend …
Madonna, die kenn ich doch, ein afrikanisches Kind hat sie auf dem Arm … Wie heißt der Titel? „Madonna meets Grzimek“. Ach, das ist doch der nette Tieronkel… Hat der wirklich eine nackte Frau auf dem Knie sitzen, eine junge Schwarze? Schon mal ganz lustig, nicht immer nur afrikanische Tiere zu zeigen…

Die Zeichnungen gehen auf Fotografien zurück, erklärt Katia Fouquet, die 1994 am Purrmann-Gymnasium das Abitur gemacht hat, dann in Berlin (an der Universität der Künste) Visuelle Kommunikation studierte und jetzt als Illustratorin, freie Künstlerin und Dozentin an der Designakademie in Berlin lebt. Immer sei sie auf der Suche nach solchen Bildern, sagt sie, die zeichne sie dann  in scheinbar naiver Weise, zeichne also gar nicht das Dargestellte, sondern die Fotografie – manchmal schreibe sie etwas in die Bilder hinein, Assoziationen, mögliche Reaktionen…

Das Bild „Zyankali Suicide“ erzählt den Massenmord der Peoples-Temple-Sekte, Jones sieht man, den Anführer, ein Mikrofon in der Hand, er fordert die Mitglieder auf, die vorbereiteten Getränke zu holen, die kleinen Gläser sind zu sehen, wie harmlos, arglos … unten ein Rekorder, „Death Tape“ steht darauf…
Halten die Bilder das Versprechen schwerelosen Dahingleitens auf der Oberfläche?
Sobald man das Erzählte zu verstehen beginnt, das merkwürdige Fortleben des Kolonialismus, den befohlenen Massenselbstmord, an dem die Autoritätshörigkeit so sichtbar wird, das Drama der jahrelangen Entführung von Ingrid Betancourt, gleitet man nicht mehr ganz so schwerelos – aber man verlässt die Oberfläche nicht.

Gerade will das alte Lamento über die Oberflächlichkeit der Jugend anschwellen, da fällt einem Hugo von Hofmannsthal ein: „Wo muss man Tiefe verstecken?“, hat dieser gefragt. „An der Oberfläche“- hat er geantwortet. Vielleicht ist das der Schlüssel zu Katia Fouquets Arbeiten: die an der Oberfläche versteckte Tiefe. Durch diese Oberfläche bricht man nicht mehr durch und stürzt dann dramatisch in die so genannte Tiefe. Aber ausrutschen kann man auf dieser Oberfläche.
Das scheinbar naive Zeichnen, die Anleihen beim Comic, die Präsenz verbaler Elemente garantieren Freiheit vom Pathos, lakonisch wirken sie, cool, unaufgeregt. Da tragen vier afrikanische Frauen eine Sänfte. Auf der sitzt eine vornehm gekleidete Dame nebst ebenso herausgeputztem Kind. Das darf doch nicht wahr sein, sagt der Kopf. Lustig, denkst du. Ja, mega-lustig. Das Bild geht auf eine Fotografie zurück: Deutsch Ostafrika, 1905.
Ja, Katia Fouquets Bilder bleiben an der Oberfläche. Aber deswegen sind sie nicht oberflächlich im landläufigen, negativen Sinn. Sie schmuggeln in die Surf-Ebene Bilder ein, an denen man nicht so einfach vorbeigleiten kann. Vielleicht führt ja der Weg in eine andere Welt wirklich nicht über pathetische Empörung. Weil in dieser Aufgeregtheit das sich empörende Subjekt nur sich selbst genießt – während sich nichts ändert. Die gespielte Naivität könnte eine raffinierte Strategie sein, sie fordert nicht das große Gefühl, sondern hofft auf Nachdenklichkeit.

So liefern Reinhard Aders Bilder und Katia Fouquets Zeichnungen auf ganz unterschiedliche Art, in ganz unterschiedlicher Bildsprache, an ein jeweils anderes Publikum gerichtet, gesellschaftskritische Kommentare. Das unterscheidet von den Fotografien von Gisela Desuki. Diese scheinen ein formales Experiment durchspielen zu wollen.
Manchmal erinnert dieses Spiel an das Spiel der Evolution. Wenn sie beim Abziehen der angegossenen Handschuhe, der Hand-Luft-Grenzflächen, das Innere nach außen kehrt und statt abstehender feiner Härchen haardünne Vertiefungen sichtbar werden, wenn Poren – gewendet - wie kleine, abgebrochene Stacheln aussehen … Wenn sie zufällig älteres Material benutzt, das unbeabsichtigte Verfärbungen mit sich bringt – und das so aussieht, als sei die künstliche Haut der Hand wirklich gealtert … Wenn das Material beim Abziehen Risse bekommt – und Gisela Desuki das akzeptiert als Ausdruck der Verletzlichkeit, dieses Thema dann bewusst weiterverfolgt, indem sie die Risswunden kunstgerecht vernäht. Oder die überraschende Emanzipation der scheinbar so klar definierten Form von ihrem Ursprung: viele nebeneinander gelegte, von hinten beleuchtete „Handschuhe“ verwandeln sich in Lachse, zwei ineinander steckende „Handschuhe“ mutieren zum Einsiedlerkrebs… Formen bilden sich, die Geborgenheit ausdrücken, Formen, die die einfache Grundform zu einer neuen, vorher nicht absehbaren hin überschreiten.
Wie ein Beitrag zum Darwin-Jahr kommen mir diese Experimente vor und Gisela Desuki hat ein besonderes Gespür dafür, dass gerade das Nicht-Beabsichtigte nach vorwärts treibt, so als gäbe es eine nicht-subjektive Intelligenz der Dinge, die unser enges Planen lächelnd übersteigt. Ihr gelassenes Spielen mit den Formen lehrt den Betrachter, gerade das Unerwartete zu lieben.

Verehrte Anwesende!
Wie Palmström ein rotes Taschentuch
habe ich ein Blatt mit Deutungsversuchen entfaltet.
Wie Palmströms Taschentuch den Blick auf den Teich
haben diese Deutungsversuche vielleicht den Blick auf die Bilder verstellt.
Daher werde ich – wie Palmström sein Taschentuch –
das Blatt mit den Deutungsversuchen wieder zusammenfalten …

und endlich den Blick freigeben auf diese spannende Ausstellung.

 

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